Denkmalschutz für Kletter-Freianlage
Anfang 2021 gab es einen Antrag eines DAV-Mitgliedes, die Anlage unter Denkmalschutz zu stellen. Dieser Wunsch wurde vielfach an uns herangetragen. Wir haben uns deshalb entschieden, diesen Antrag zu unterstützen. Auch der Bezirksausschuss Sendling hat in der Sitzung Anfang März einstimmig entschieden, dies an die zuständige Behörde, das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege, zu melden.
Entstehung der Kletteranlage 1988 – 1989
Im Vorwort der Festschrift zur Einweihung wird die historische Bedeutung Münchens für die Felskletterei beteuert. Da München nur wenig natürliche Felsen zu bieten hat, wurde hier einer der ersten künstlichen Klettergärten errichtet.
Die Erbauer der Freianlage haben hier ehrenamtlich sehr kreativ und detailverliebt eine felsähnliche Struktur nachgebildet. Sie haben mit Hilfe von Bunsenbrennern und anderen Werkzeugen die positiven Strukturen in Styropor eingraviert. Für Löcher und Sanduhren haben sie Styropor und Kabelleerrohre eingesetzt. Teilweise sind sogar Tiere in die Struktur eingearbeitet. Es wurden bekannte Kletter-Routen aus dem Wilden Kaiser, dem Karwendel und anderen – auch in der Schweiz – nachempfunden, um sich optimal auf das Felsklettern vorzubereiten.
Ein solcher Aufwand ist heute nicht mehr zu finanzieren. Auch deshalb werden heute nur noch verkleidete Stahl- oder Holzkonstruktionen mit Kunstgriffen verwendet.
Architektonische Gestaltung
Das Gruber Gebirg‘– wie es gerne liebevoll genannt wird – fügt sich gelungen in die Topographie ein. An der Isarhangkante wurde im westlichen Bereich des Grundstücks Kriegsschutt abgeladen. Inzwischen ist dort ein eingetragenes Biotop mit großen Bäumen entstanden.
Der Hang wird von Stützwänden, die als Kletterwände dienen, gehalten. Auf der Westseite stehen diese ca. 2 Meter über den Hang. Sie werden heute v.a. an heißen Sommertagen zum Bouldern genutzt. Die Hangkante bleibt erlebbar durch eine Freitreppe und einen Pfad hinter dem Schrein, die den oberen und unteren Bereich miteinander verbinden.
Auf der Ostseite variieren diese Wände von sanft geneigt (Platte und Kinderkletterwand) bis stark überhängend (sog. Schrein zum Bouldern). Im Zentrum sind drei verschieden hohe Türme angeordnet. Sie bilden mit den umgebenden Wänden zwei „Höfe“.
So entsteht ein attraktiver Freiraum von hoher Aufenthaltsqualität. Südöstlich ausgerichtet und durch die Hanglage windgeschützt ist sie nahezu ganzjährig nutzbar. Das zeigt insbesondere die große Beliebtheit des sogenannten Schreins. Dieser Boulderbereich ist ein wahres Kleinod. Er ist bei Anfängern wie Ambitionierten sehr beliebt: der freie Blick ins Grüne, Kiesboden und Trampolin zum Spielen, Tische und Bierbänke in der Nähe sorgen für eine Atmosphäre, in der sich viele wohl fühlen und schnell ins Gespräch miteinander kommen.
Hohe bauliche Qualität der Beton-Anlage
Der Bergsteiger und Architekt der Anlage Georg Gruber und eine Sachverständige für Baustoffanalytik haben uns die bautechnisch hohe Qualität der Betonanlage bestätigt. Sie haben vor Ort den Zustand in Augenschein genommen und mit einem Messgerät die Betonüberdeckung geprüft. Diese liegt weit höher als sonst üblich (bis zu 7 cm). Das wurde lt. Aussage des Architekten damals bewusst so gemacht, weil ihm und dem ausführenden Betrieb Dyckerhoff & Widmann bewusst war, welcher Witterung der Beton ausgesetzt sein würde.
Einzigartiges Erlebnis des Freikletterns
Unserer Ansicht nach kann man die Entstehungszeit der Anlage als Hochzeit des Freikletterns bezeichnen. Die Kletterer dieser Zeit haben ohne technische Hilfsmittel nur mit dem eigenen Körper schwierige Kletterpassagen überwunden und damit einen ganz neuen Stil etabliert, der sich dann auf der ganzen Welt ausgebreitet hat. Freiklettern ist inzwischen der Standard beim Klettern. Außerdem war klettern damals zugleich ein Lebensstil – ohne Luxus, naturnah und frei.
Die Münchner Anlage ist zum einen ein Denkmal dieser Zeit und leitet zugleich den großen Erfolg des Kletter- und Bouldersports ein. Sie bietet bis heute ein einmaliges Klettertraining an felsähnlichen Strukturen und ermöglicht wie keine künstliche Kletter-Anlage die Vorbereitung für das Klettern in den Bergen und am Fels.
Die langen Quergänge ermöglichen eine gezielte Verbesserung der Kraft-Ausdauer, die unzähligen Strukturen des Betons erlauben eine unbegrenzte Kombination von Zügen unter dem Einsatz der eigenen Kreativität. Es ist nicht das stur vorgegebene phantasielose Abspulen von Zügen an ergonomischen Plastik-Griffen. Wie schon der berühmteste deutsche Freikletterer bemerkte:
„Es sind weder Vorschriften noch zwingende Regeln welche die individuelle Gestaltungsfreiheit bei der Ausführung oder Begehung einer Route einschränken.“ (W. Güllich, Magazin Bergsteiger 11/1983) „Es liegt an der Kreativität des Sportlers, aus seinen Belastungsmöglichkeiten ein Bewegungsprogramm zusammenzustellen.“ (W. Güllich, A. Kubin Sportklettern Heute)
Kinder haben bis heute großen Spaß, die Türme der Anlage in Kletterkursen zu erobern und erlernen so spielerisch die Techniken für alpines Klettern.
Die Anlage um 1995
Denkmalschutz als Chance für mehr Nachhaltigkeit
Denkmalschutz hat viel mit der Wertschätzung vergangener Leistungen und Nachhaltigkeit zu tun. In unseren Augen eröffnet der Erhalt dieser einzigartigen Anlage ganz neue Möglichkeiten und Chancen für den Kletter- und Bouldersport. Im DAV gibt es einige Mitglieder, die zu Recht an dieser Anlage und den damit verbundenen Werten der Freikletterbewegung festhalten. Auch im Vorstand der Kletteranlage wird gerne davon gesprochen: „Wir sehen uns nicht als Fitnessstudio, wir wollen unsere Mitglieder auch für unsere Werte begeistern, für den Natursport, für den Wert des Draußen-Seins„.
Verstärkt wird diese Entwicklung durch die aktuelle Krise. Viele, die in der Halle an bunten Griffen angefangen haben, entdecken gerade das Klettern und Bouldern am Fels an der frischen Luft. Auch im letzten Sommer genossen viele Hallensportler und Kursleiter den großzügigen Außenbereich. Selbst über den Winter kamen deutlich mehr Besucher auf unsere Website, die nach „draußen bouldern München“ suchten.
Eine so einzigartige Anlage abzureißen wäre also extrem kurzsichtig und ein herber Verlust. Noch dazu ist das ökologisch nicht vertretbar.
Die Sektion Oberland (neben München größte DAV-Sektion des Trägers der Kletteranlage) möchte klimaneutral werden. Das lässt sich mit dem Abriss und Neubau einer Boulderhalle in Stahlbeton und der Versiegelung der dreifachen Fläche im Vergleich zu heute nicht vereinen. Auch ein Blick in die Klimafunktionskarte der LH München zeigt, dass dieser Bereich als Freifläche von bioklimatisch sehr hoher Bedeutung gekennzeichnet ist.
Der DAV sollte die Gelegenheit nutzen und diese Anlage erhalten. Noch dazu in Pandemie-Zeiten, in der nur Sport im Freien möglich ist.
Uns ist durchaus bewusst, dass Bouldern derzeit einen großen Boom erlebt und wir können den Wunsch nach mehr Boulderfläche sehr gut verstehen. Allerdings ist nicht nachvollziehbar, warum dieser attraktive Außenbereich, der mit dem Schrein einen beliebten Boulderbereich hat, dafür geopfert werden soll. In München und Umgebung schießen neue Boulderhallen wie Pilze aus dem Boden, während attraktive Boulder im Freien immer weiter verdrängt werden. Außerdem wäre eine Boulderhalle an einem anderen Standort genausogut möglich.
Stimmen für den Erhalt – ein Auszug
Abschließend haben wir hier einige Stimmen für den Erhalt zusammengestellt.
Reinhold Messner schreibt uns:
„… Die Beton-Kletteranlage kenne ich seit ewigen Zeiten. Sie hat nicht nur zur Diskussion künstlicher Kletteranlagen beigetragen, sie ist von historischer Wichtigkeit. Sie zu entsorgen kostet Energie und ist Ressourcenverschwendung. Heute, mit der Problematik von Energieverschwendung sowie Ressourcenverschwendung wäre es besser die Anlage upzucyclen. Also aus der historisch wichtigen Struktur etwas Nachhaltiges zu machen, ohne das Existente zu entsorgen. Hat sich der DAV nicht der Nachhaltigkeit verpflichtet? Es kostet einen Bruchteil einer neuen Struktur, die alte wieder lebendiger zu gestalten.
Ausdauer und Kraft wünschet
Reinhold Messner“
Bürger kommentiert die Abriss-Entscheidung auf der Facebook-Seite des Denkmalnetzes Bayern: „Weltweit einmalig, international in der Kletterszene bekannt, nicht einfach nur ein altes Gebäude, sondern ein Meilenstein der Sportklettergeschichte – unverständlich, wenn so etwas nicht unter Denkmalschutz gestellt wird, aber dass die Stadt München in vielem nicht gut organisiert ist, falsche Schwerpunkte setzt, Mängel im Personal hat, das liest man seit Corona häufig… Dieses Outdoor-Refugium, Klettern im Freien, wird also geopfert…..
Der Antragssteller schreibt u.a. an die Stadtbaurätin Dr. Elisabeth Merk und den Bezirksausschuss Sendling:
„Die Ursprünge der Kletteranlage Thalkirchen gehen auf eine Stahlbeton-Freianlage zurück, die im Jahr 1989 errichtet wurde. Einer Zeit, in der sich die Freikletter-Bewegung auf ihrem Höhepunkt befunden hat. Diese Bewegung hat mit ihren hohen ethischen und ökologischen Ansprüchen historisch Maßstäbe gesetzt. Die Stahlbeton-Freianlage ist ein Monument dieser Bewegung. Die Anlage ist in ihrer Art einzigartig.
Auch heute noch beruft sich der DAV auf die Werte der Freikletter-Bewegung. Dies hält die Funktionäre des DAV München/Oberland allerdings nicht davon ab, zu planen, die Stahlbeton-Freianlage den kurzsichtigen, kommerziellen Interessen des Baus einer neuen Boulderanlage, die an der Stelle der Stahlbeton-Freianlage gebaut werden soll, opfern zu wollen.
Die Stahlbeton-Freianlage gehört unter Denkmalschutz gestellt. Wenn diese Anlage nicht umgehend geschützt wird, wird sie unwiederbringlich den kommerziellen Interessen der DAV Funktionäre zum Opfer fallen.
(…) Auf die zentrale Frage, warum man denn gerade an dieser Stelle eine neue Boulderanlage errichten will, habe ich bisher keine Antwort vom DAV gefunden. Eine neue Halle an einer anderen Stelle hätte gewiss nicht weniger ‚Vorzüge‘.“
Ein weiterer Kletterer schrieb uns im Dezember 2018 per e-Mail:
„Kletterhistorisch und architektonisch handelt es sich um ein einmaliges und schützenswertes Baudenkmal.“
Ein Unterzeichner unserer Petition schreibt im Sommer 2019:
„Die Anlage ist Münchner Klettergeschichte und Kult!“, ein weiterer schreibt:
„Beton und Schießscharten forever!“.
Kursleiter von Kinderkletterkursen erzählten uns, dass die Kinder großen Spaß an der Eroberung der Türme hätten. Sie fänden es „cool“, Griffe und Tritte in der Betonstruktur zu finden und selbst Expressen einzuhängen. Außerdem finden Sie das Training mit Kindern im Freien sehr viel entspannter.
Einige Mitglieder einer Jungmannschaft sehen in der Betonanlage super Trainingsmöglichkeiten, irgendwie „strange, aber sehr cool“. Noch eine Boulderhalle wollten sie nicht, sie gingen nur in die Halle mangels Alternativen.
Auf der Plattform nebenan.de kommentiert eine Nachbarin:
„Es ist eine Schande, wie mit der Kletteranlage umgegangen wird, die weit über die Landesgrenze bekannt ist (…).“
Ein Ausbilder f. künstliche Kletteranlagen & Trainer B Alpinklettern schreibt:
„Bei der Anlage handelt es sich um die erste ihrer Art bundesweit (auch nach Einschätzung des DAV – nach alpinen Gesichtspunkten detailliert und für damalige Zeit vollkommen innovativ gestalteter Beton und mit modernen Griffen kombiniert. Die … [Anlage] insgesamt wird als „Initialzündung“ für bundesweit entstehende Hallen angesehen). Ich als Laie sehe die Außenanlage als wichtigen Bau der alpinen und Sportgeschichte der Nachkriegszeit.“
Im Reiseführer „52 kleine und große Eskapaden in und um München“ (© DuMont Reiseverlag / Nadine Ormo, Leseprobe S. 26) schreibt die Autorin:
„Was könnte es im Frühling Herrlicheres geben, als an einer geschützten Südwand zu sitzen und sich von den ersten wärmenden Sonnenstrahlen verwöhnen zu lassen? Klar: Sich genau dort ein bisschen bewegen. (…) Mitten in der Stadt, geschützt und mit Blick ins Grüne kann man an der Outdoor-Boulderwand prima die eine oder andere Stunde abhängen. Obwohl, „abhängen“ trifft es nicht ganz. Um möglichst elegant und fließend durch die Routen zu kommen, ist eine ganze Portion Körperspannung gefragt. Genau die lässt sich hier trainieren. (…). Bouldern – noch dazu an der frischen Luft – hat durchaus etwas Meditativ-Entspannendes, der Alltag ist ruckzuck vergessen.“
Ganze Eskapade #4 in München >
Eine Kletterin schreibt von den Anfängen per e-Mail:
„Ich kam erstmalig 1992 dorthin. (…) Der leichte Betonteil, der heutzutage als Kinderkram abgetan wird, wurde ganz speziell geklettert: nur stützen, nur innerhalb einer Plattenreihe. Das war Vorbereitung für (…) Reibungsplatten. Die Löcher rechts davon erinnern eher an Buoux und Fränkische [Frankenjura], die eine Ecke war Verschneidungskletterei, aber kleingriffig wie im Karwendel. (…) Vom ersten Turm die Seite, die man sieht, wenn man reinkommt, wurde ohne Hände geklettert, 7er Platte, die „Sina“[Routenname] galt immer als „Kaisernah“. Auch Risskletterei war integriert und Piazen [Klettertechnik] über die Sechsecke. Man konnte übrigens rundum klettern, wobei wir damals so 3 – 5 Runden machten, aus Konditionsgründen.
Für mich selbst kann ich nur sagen, der Beton hat wirklich bestens auf die Alpen hier vorbereitet. 7er [Schwierigkeitsgrad] dort klettern hieß, 7er im Karwendel, 6er im Kaiser, Muskeln korrekt angepasst, auch die nötige Körperspannung und Fingerkraft (Sportherz, Bayerischer Traum, …).“
Ein langjähriger Fan der Außenanlage schreibt als Reaktion auf den Antrag per e-Mail:
„Da ich Anfang der 1990er Jahre dort viel trainiert habe und mich vor allem auch „winterhart“ gemacht habe, hänge ich auch heute noch an der alten Anlage, insbesondere dem „Schrein“ und möchte Euch wirklich gratulieren. Toller Ansatz! Auch wenn ich jetzt schon im Rentenalter bin und nie im Gebirge extrem war, aber die Anlage besuche ich gerne wieder, wenn es unter normalen Umständen wieder möglich wird. Wäre Klasse, wenn sie erhalten bliebe. Dann würde ich auch wieder von Buchenhain nach Thalkirchen wandern.“
Der ehemalige Vorsitzende des Trägervereins der Kletteranlage hat bereits lange vor den Hallenplänen gefordert, dass die Anlage unter Denkmalschutz gestellt werden soll.
Verlust der Kletteranlage
Inzwischen ist der Antrag gescheitert. Viele Fragen an die zuständigen Behörden bleiben unbeantwortet. Zwischen Begehung der Anlage durch das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege am 28.9.21 und Baugenehmigung durch die LBK am 6.10.21 verging eine Woche. Der Sendlinger BA wurde über das negative Ergebnis des Eintragungsverfahrens erst nach der Bürgerversammlung informiert. Eine Begründung der Ablehnung erhielt er bis heute nicht. Am 3. Februar 2022 wurde der besonders beliebte Teil, der sog. Schrein, zur Hälfte abgerissen, die Türme sind am 16.5. gefallen. Seitdem ist die Außenanlage gesperrt, obwohl keine weitere Bautätigkeit stattfindet.